Grunow und ihre Schülerinnen und Schüler


Nicht nur Lehrkräfte am frühen Bauhaus wie Lothar Schreyer und Gertrud Grunow sind in der Forschung bislang vernachlässigt worden. Auch die Geschichte der Generationen an Schülerinnen und Schülern wartet in den meisten Fällen noch auf Bearbeitung. Alle Schülerinnen und Schüler am Bauhaus müssen seit der Etablierung der Harmonisierungslehre bis ins Frühjahr 1924 hinein mit Grunow in Berührung gekommen sein. Es ist zu erwarten, dass sich in – noch nicht veröffentlichten oder in für bisherige Publikationen gekürzten – Tagebüchern sowie in Autobiographien, Artikeln und Interviews der Bauhaus-Studierenden Beschreibungen und Meinungsäußerungen zum Unterricht finden lassen, die wesentliche Zeitzeugnisse zur Grunow-Lehre darstellen und ihre Einbettung am Bauhaus sowie ihre Bedeutung für die kreative Praxis charakterisieren. Weiterhin wäre etwa anhand der Archivalien des Bauhaus-Archives zu überprüfen, welche Schülerinnen und Schüler nach Absolvieren der Vorlehre weiterhin regelmäßig an Grunows Stunden teilnahmen.

Einige, aber keinesfalls alle relevanten Namen ihrer Schülerinnen und Schüler lassen sich aus den veröffentlichten Evaluationen entnehmen (Wahl 2001: 167–169, 300–302; vgl. Burchert 2019a). Cornelius Steckner weist, allerdings ohne genaue Quellenangaben, darauf hin, dass die Hamburger Tänzerin Sara Norden 1919 u.a. bei Eduard Gillhausen (1898–1922) für das Weimarer Bauhaus und insbesondere Grunows Harmonisierungslehre geworben hatte (Steckner 2010: 31). Gillhausen scheint ein wichtiger Begleiter gewesen zu sein, mit dem Grunow auch nach ihrer Zeit am Bauhaus persönlich und brieflich in Kontakt stand (ebd.: 56, 60, 67f.). In Weimar unterstützte er sie offenbar regelmäßig auf ihrem Heimweg. So erinnert sich Schreyer an folgende Aussage Grunows:

»Ich mache täglich ein paar Menschen für einige Zeit gesund. Mir aber darf ich so wenig helfen, daß ich zu klapprig bin, um abends allein durch den Park gehen zu können und mich der Gillhausen, der gute Junge, führen muß« (Keith-Smith 2006: 371).

Weder zu Norden noch zu Gillhausen existiert Forschungsliteratur.

  

Mehr Bekanntheit haben die Grunow-Schüler Werner Gilles (1894–1961) und Max Peiffer Watenphul (1896–1976) erlangt. 

1920 fertigte Watenphul ein Porträt von Grunow an. Später arbeitete er als Landschaftsmaler in Italien und kooperierte dort u.a. mit Gilles, dessen Teilnahme an Grunows Harmonisierungslehre ebenfalls belegt ist (Droste 2005: 50). Grunow hatte sich für Landschaftsmalerei – gerade auch im italienischen Kontext – offenbar sehr interessiert, denn es ist auffällig, dass mehrere jener Schüler, mit denen sie engeren Kontakt hatte, sich in diesem Feld betätigten.

Davon zeugt auch ihre Zusammenarbeit mit Gerhard Schunke (1899–1963): Schunke arbeitete nicht nur seit den 1950er Jahren als Naturheiler, sondern schuf nach seiner Zeit am Bauhaus unter dem Künstlernamen Gio Gino Landschaftsgemälde. 1941 erschien ein Katalog, in dem Grunow dessen Arbeiten in hohen Tönen lobte (Grunow 1941). In ihren Beschreibungen wird deutlich, wie eng sie dessen Bildsprache mit ihrer Gleichgewichts- und Harmonielehre in Verbindung brachte.

Max Peiffer-Watenphul, Porträt Gertrud Grunow, 1920, 52,6 × 45,5 cm, Aquarell über Bleistift, Bauhaus-Archiv Berlin, Photo: Atelier Schneider, © Archiv Max Peiffer Watenphul. 


Neben Bezügen zwischen Harmonisierungslehre und Landschaftsmalerei sollte auch Grunows Kooperation mit der Webereiklasse und somit den Frauen am Bauhaus untersucht werden. Aus Grunows Bauhausaufsatz von 1923 wird deutlich, dass Verbindungen bestanden und gesucht wurden (Grunow 1923). So hatte sie möglicherweise Farbwahl und Webmuster bzw. -rhythmus in einen Zusammenhang mit ihrer Lehre gebracht (Steckner 1994: 207). Bis auf den begeisterten Tagebucheintrag zur Rhythmusstunde Ende 1919 ist von Gunta Stölzl zu Grunow bislang nichts öffentlich geworden (Radewaldt/Stadler 1998: 22, zu Stölzl siehe Bauhaus100a). Aus Schreyers Erinnerungen werden weiterhin Bezüge zu der Witwe Franz Marcs (1880–1916), Maria Marc (1876–1955), ersichtlich (Schreyer 1956: 200–210). Steckner nennt außerdem die Weberin Margarete Willers, die später an der Folkwangschule arbeitete (Steckner 1994: 212). Nicht zu vergessen ist zudem die spätere Ehefrau Schunkes: Lis Schunke-Deinhardt (1899–1988).

 

Bezüge zum Bauhaustheater waren über Schreyer in jedem Fall gegeben: Zu nennen sind hier Friedl Dicker (1898–1944, Bauhaus100b) und Franz Singer (1896–1954, Bauhaus100c). Singer stand zudem in engem Kontakt zu Johannes Itten. Ein Zeugnis zur engen Kooperation von Theater und Harmonisierungslehre stammt vom Schreyer-Schüler Hans Haffenrichter:

»Dann war es soweit, daß Lothar Schreyer für unsere Arbeit sein ›Mondspiel‹ dichtete und durchkomponierte. Der ›Spielgang‹, wie er seine genauen Partituren nannte, machte seine Gestaltung in allen Einzelheiten klar. Das lange tägliche Training galt vor allem dem ›Klangsprechen‹ der Dichtung. Der Spieler mußte zuerst seinen eigenen Grundton und daraus den ›inneren Klang‹ finden. Die Worte der Dichtung wurden genau nach dem Spielgang in Rhythmus und Takt, in Höhe und Stärke des Klangsprechens so lang geübt, bis die ›geistige Dimension‹ Wirklichkeit wurde. Die Bewegungen der Spieler erwuchsen aus dem Wortton. So wurden auch jede Bewegung und die Wege im Bühnenspielfeld genau nach dem Spielgang mit Maske und Tanzschild eingeübt. Das Tanzschild war anfangs recht schwer zu meistern, vor allem in enger Bindung mit dem Sprechen, wenn man es bewegen mußte. Da half oft Gertrud Grunow mit ihren Harmonisierungsübungen […].« (Haffenrichter 1971: 50f.)

Steckner (2010) nennt ausgehend von seinen Recherchen zahlreiche weitere Namen – nicht nur von Schülerinnen und Schülern am Bauhaus, sondern auch von solchen aus Berlin und Hamburg. Allerdings führen aufgrund der Forschungslage bisher die meisten Bezüge noch in die Leere. Weiteren, indirekten Bezügen sind ausgehend von Hildegard Heitmeyers Unterricht in der Grunow-Lehre nachzugehen

 

Linn Burchert, Nov. 2018


Literaturangaben:

Bauhaus100a: »Gunta Stölzl«, Bauhaus 100, © 2016 – 2018 Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar gGmbH, verfügbar unter: https://www.bauhaus100.de/das-bauhaus/koepfe/meister-und-lehrende/gunta-stoelzl/, 26. August 2018.

Bauhaus100b: »Friedl Dicker«, © 2016 – 2018 Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar gGmbH, verfügbar unter: https://www.bauhaus100.de/das-bauhaus/koepfe/studierende/friedl-dicker, 26. August 2018.

Bauhaus100c: »Franz Singer«, © 2016 – 2018 Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar gGmbH, verfügbar unter: https://www.bauhaus100.de/das-bauhaus/koepfe/studierende/franz-singer, 26. August 2018.

Burchert 2019a: Linn Burchert, »The Spiritual Enhancement of the Body: Johannes Itten, Gertrud Grunow, and Mazdaznan at the Early Bauhaus«, in: Elizabeth Otto/Patrick Roessler (Hg.), Bauhaus Bodies: Gender, Sexuality, and Body Culture in Modernism’s Legendary Art School, London 2019 (in Vorbereitung der Drucklegung).

Droste 2005: Magdalena Droste, bauhaus 1919–1933, Köln 22015 (1990).

Grunow 1923: Gertrud Grunow, »Der Aufbau der lebendigen Form durch Farbe, Form, Ton«, in: Ausst.-Kat. Staatliches Bauhaus Weimar 1919 bis 1923, hrsg. v. Karl Nierendorf, Weimar 1923, S. 20–23 [Radrizzani 2004, S. 77–81].

Grunow 1941: Gertrud Grunow, »Licht und Atmosphäre als Ausdruck geistiger Empfindung bei Gio Gino«, in: Emil Waldmann (Hg.), Gio Gino, Berlin 1941, S. 39–41.

Haffenrichter 1971: Hans Haffenrichter, »Lothar Schreyer und die Bauhausbühne«, in: Eckhard Neumann (Hg.), Bauhaus und Bauhäusler. Bekenntnisse und Erinnerungen, Bern/Stuttgart 1971, S. 50–52.

Keith-Smith 2006: Brian Keith-Smith, Lothar Schreyer. Persönliches: Dokumente und Briefe, Newiston/New York 2006.

Radewaldt/Stadler 1998: Ingrid Radewaldt/Monika Stadler, »Gunta Stölzl. Biographie«, in: Ausst.-Kat. Gunta Stölzl. Meisterin am Bauhaus Dessau. Textilien, Textilentwürfe und freie Arbeiten 1915–1983, Stiftung Bauhaus Dessau/Städtische Kunstsammlungen Chemnitz/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg 1998, S. 10–86.

Schreyer 1956: Lothar Schreyer, Erinnerungen an Sturm und Bauhaus, München 1956.

Steckner 1994: Cornelius Steckner, »Die Musikpädagogin Gertrud Grunow als Meisterin der Formlehre am Weimarer Bauhaus: Designtheorie und produktive Wahrnehmungsgestalt«, in: Rolf Bothe (Hg.), Das frühe Bauhaus und Johannes Itten: Katalogbuch anläßlich des 75. Gründungsjubiläums des Staatlichen Bauhauses in Weimar, Ostfildern-Ruit 1994, S. 200–214.

Steckner 2010: Cornelius Steckner, »Gertrud Grunow (1870–1944): Eine Biografie in Dokumenten«, 2010, PDF, verfügbar , 24. August 2018.

Wahl 2001: Volker Wahl (Hg.), Die Meisterratsprotokolle des Staatlichen Bauhauses Weimar 1919 bis 1925, bearbeitet v. Ute Ackermann, Weimar 2001.

Webseite Watenphul: Archiv Peiffer Watenphul/Michael Semff,  webseite , 26. August 2018.